Als "Darmstädterei" wird in Darmstadt die meist humoristische Beschäftigung mit der eigenen Stadt bezeichnet. Gleichzeitig meint man damit aber auch die für die südhessische Metropole typische Umgehensweise mit Großprojekten: Statt entschiedenem Vorangehen heißt es meist: "Mer redde noch emol driwwer". Dementsprechend dauert es, bis Ergebnisse zu verzeichnen sind. Diese beiden Aspekte werden für mein kleines Projekt auch prägend sein. Zum einen geht es um Darmstadt und seine Straßenbahn, zum anderen werden wir noch sehen, ob das Projekt jemals seinen Abschluss finden wird...
Eisenbahnmodellbau ist ja oft verbunden mit der Reise zu eigenen Erinnerungen. So wird es auch hier sein. Als Schüler in Darmstadt erlebte ich die meterspurige Straßenbahn der Stadt seit den späten 80er Jahren. Damals fuhren im Prinzip zwei Treibwagentypen durch die Stadt: Neben den etwas moderneren Bahnen der Typen ST10, 11 und 12 waren noch die älteren ST7 und ST8 unterwegs. Diese wurden in den 1960er Jahren an die HEAG (urspünglich Hessische Eisenbahn AG) geliefert. Hersteller war die DWM in West-Berlin, deren Fahrzeuge große Ähnlichkeiten mit den klassichen DUEWAG-Straßenbahnen hatten.
Die DWM baute zunächst 13 Bahnen des Typs ST7 (ST steht für Straßenbahn-Triebwagen) in den Jahren 1961 und 1962 und dann, ein Jahr später, nochmal 7 Bahnen des Typs ST8. Dieser unterschied sich geringfügig (andere Fenster in den Türen) von der Vorgängerbaureihe. Die Fahrzeuge liefen solo oder mit Beiwagen, zuletzt sogar mit den Darmstädter Niederflurbeiwagen, womit sie sehr lange im Einsatz bleiben konnten. In den späten 1990er Jahren habe ich so eine Bahn in der Bismarckstraße auf der Linie 3 fotografiert:
Die Bahnen trugen mehrere Lackierungsvarianten: Zunächst war da der klassiche Elfenbeinanstrich mit rotem Zierband. Dann gab es eine Variante, bei der die Fensterzone orange gestaltet wurde und blaue Zierstreifen ergänzt wurden. Schließlich trugen viele Fahrzeuge die bis vor Kurzem gültige HEAG-Lackierung in weiß/blau/orange wie auf dem Bild.
Ab 1998 bekam die HEAG Niederflurfahrzeuge, die die ST7 und ST8 fast komplett verdrängten. Die meisten Fahrzeuge wurden verschrottet oder nach Rumänien verkauft, wo sie nach ein paar Jahren Betrieb ebenfalls abgebrochen wurden. Lediglich drei Triebwagen der Reihe ST7 blieben in Darmstadt: Tw25 und Tw31 in der oben beschriebenen Lackierung und Tw26 in Vollwerbung. Die drei Fahrzeuge hatten vor einigen Jahren nach einem Eisregen nochmal einen späten Höhepunkt ihrer Laufbahn zu verzeichnen: Da die Computer der Niederflurfahrzeuge aufgrund der gestörten Stromversorgung durch die vereiste Oberleitung den Dienst verweigerten, kamen die alten Bahnen in den Liniendienst zurück und fuhren die Oberleitungen frei.
Mittlerweile ist leider nur noch Tw31 betriebsbereit, die beiden anderen werden wohl in Kürze abgebrochen. Tw31 ist aber in den Liniendienst zurückgekehrt. Weil die HEAG derzeit zu wenige Fahrzeuge für den verdichteten Fahrplan hat, muss der Oldtimer tagsüber eine Runde drehen: Er startet als Linie 5 vom Böllenfaltor aus und fährt nach Kranichstein, von da steuert er als Linie 4 Griesheim an. Dort wendet er (schon an der Wagenhalle) und kehrt als Linie 9 zum Böllenfalltor zurück. Hier ein paar schnell aus dem Auto geschossene Bilder aus dem Dezember 2024:
Tw31 steht auf dem Rangiergleis in der Umgebung des Hauptdepots am Böllenfalltor. Er trägt die Linienbezeichnung 9, unter der er aus Griesheim an diesem Nachmittag zum Depot zurückkam.
Tw31 begegnet einer neuen Straßenbahn der Baureihe ST15, die seit 2023 im Einsatz ist. Zwischen beiden Fahrzeugen liegen mehr 60Jahre Altersunterschied. TW31 fährt auf die Linie 5 nach Kranichstein. Sein Heck weist gestalterische Unterschiede zu den klassischen DUEWAG-Bahnen auf.
Leider verbringe ich zu viel Zeit im Internet. Da liest man viele Dinge, die man besser nicht gelesen hätte. Manchmal hat man aber auch Glück und man stößt auf wichtige Informationen. Und dann gibt es noch eine dritte, nicht so seltene Variante: Man gerät an Werbung, oft sogar personalisiert. So war es nun auch bei mir. Ein Algorithmus hatte beschlossen, dass es für irgendjemanden wirtschaftlich sinnvoll sein könnte, mir Werbung der Firma Arnold (bzw. Hornby) vorzulegen. Und er hatte recht. Ich biss an.
Im Angebot war ein Modell einer klassischen Straßenbahn mit roter (weihnachtlichen?) Vollwerbung einer koffeinhaltigen Limonade. Aus irgend einem Grund ist das Modell in dieser Farbgebung derzeit im Angebot. Vielleicht ist die Vollwerbung so wenig dezent auf dem Modell zu sehen, dass sich Käufer scheuen, hier zuzuschlagen. Ich scheute dagegen nicht und kurz vor Weihnachten war die Bahn (aus England angereist) wortwörtlich in meinen Händen.
Sehr knuffig. Aber auch deutlich zu rot. Kurzerhand wurde die Bahn auseinandergenommen. Die Zielanzeigen, die sie als Ludwigshafener Bahn auswiesen, verschwanden.
Dann wurde die Bahn ersteinmal geweißelt und die Werbebleche der Vorbilds auf dem Dach neben dem Stromabnehmer wurden ergänzt.
Im Hintergrund deuten sich schon die weiteren "HEAG"-Farben an. Mit Hilfe eines japanischen Abklebebandes wurden dann diese beiden Farben auch aufgetragen,
Und zusammengesetzt gab es dann folgendes Ergebnis:
Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden. Die Bahn ist erstaunlich klein und mit den Jahren sehe ich erstaunlich schlecht... Letzteres führt aber dazu, dass man das Modell in Natura niemals so detailliert sehen kann, wie auf den Fotos. Eine Linienbezeichnung (Linie 3 zur Lichtenbergschule) und Werbungen habe ich provisorisch ergänzt. Dazu folgende Gedanken: Der Tw31 trägt rote Werbebanner eines Darmstädter Baumarktes. Das gefiel mir so nicht. Ich hatte überlegt, diese Werbung durch eine rote Cola-Werbung zu ersetzen, um auf die Herkunft des Modells hinzuweisen. Aber diese Firma braucht bestimmt keine weiteren Werbeflächen. Deshalb habe ich derzeit Werbebanner einer Darmstädter Brauerei montiert, die es zwar wirklich gibt, die aber auf den Bahnen der Baureihe ST7 nicht geworben hat.
Hier kommen wir zu einem nicht ganz unwichtigen Thema: Der Originaltreue. Ich muss ehrlich gestehen, dass mir diese nicht so wichtig ist. Mir geht es bei meinem Modellbau immer eher um Atmosphäre und den Spaß beim Bauen. Von daher toleriere ich folgende Abweichungen vom Original: - Die Werbung stimmt nicht. - Die Türfenster entsprechen eher der Baureihe ST8 und nicht der ST7 - Das Heck entspricht der Gestaltung des Herstellers DUEWAG und sieht in Darmstadt anders aus. - Der Frontscheinwerfer ist rund und nicht eckig. Der letzte Punkt ist aus meiner Sicht wie folgt schönzureden: In Darmstadt waren die Scheinwerfer ursprünglich auch rund. Die wohl wichtiste Abweichung ist aber auch klar: Das Fahrzeug ist ein Normalspurfahrzeug und kein Meterspurfahrzeug...
Ich hoffe, dass Ihr mir den letzten Punkt auch nachseht. Mir ist klar, dass wir uns hier mit Schmalspurfahrzeugen beschäftigen. Aber zumindest im Original ist es das ja...
Wie geht es nun weiter? Auf den Bildern oben kann man schon eine kleine Holzkiste sehen, in der die Bahn steht. Diese Kisten (eigentlich Dekoverkleidungen für Taschtuchboxen) besitze ich nun drei mal. Die Idee ist folgende: - An der Vorderkante der Kisten werden Gleise verlegt. - Die Seitenteile der Kisten werden etwas angeknabert, um die Gleise seitlich aus der Kiste führen zu können. - In jede Kiste kommt dioramaartig ein für Darmstadt typischer, aber nicht nachrealem Vorbild gestalteter Ausschnitt einer Architekturlandschaft, derzeit geplant: a) Bauten der 50er Jahre aus der Wiederaufbauzeit nach dem Krieg b) Gründerzeitbauten c) Vorortarchitekturen aus den Stadtteilen Eberstadt und Bessungen - Weitere Kisten sind denkbar, z.B. mit einer Überlandszene oder einem bekannten Bauwerk im Hintergrund (z.B. das Schloss...) - Die Kisten können funktionslos ins Regal gestellt werden und nehmen wenig Platz weg - Die Kisten können hinter einer Abdeckplatte mit entsprechend großen Löchern montiert und verbunden werden. Von vorne sieht man dann einzelne Darmstädtereien, wie in einer Bildergalerie.Dann ist ein Fahrbetrieb von Szene zu Szene möglich, Denn die Bahn hat erstaunlich gute Fahreigenschaften.
ein schönes Projekt! Aber auch verdammt winzig das Zeugs. Nix für meine Tattergriffel, aber das Anschauen der Kästen dürfte schon sehr spaßig sein.
Erfahrungsgemäß - also zumindest bei mir ist es so - ziehen sich solche Projekte ein bisschen wie Kaugummi. Damit es bis zur Fetigstellung nicht gar so trist aussieht: Es gibt von einem Darmstädter Verein (die Lilien sind es nicht!) einfache, aber ansprechende Kartonmodelle für wenig Geld im passenden Maßstab, hier die Liste der Bauwerke. Letztes Jahr vor Ort am Luisenplatz zum Kauf gesehen. Den Ostbahnhof hatte ich vor Jahren mal zusammengebastelt. Der wirkte - obwohl eher einfach gestaltet - als Modell recht überzeugend. Für den Fünffingerturm musste wahrscheinlich ein Loch in die Kastendecke sägen, aber der Lange Ludwig sollte noch reinpassen.
Irgendwo, Irgendwann, Irgendwie hatte ich mal ein Darmstädter Mehrfamilienwohnhaus aus der Jahrhundertwende (also der vorletzten) begonnen zu konstruieren. Wenn ich es nochmal finde, bist du der erste, der es erfährt.
Und eine Dampfkastenlok als 3D-Druck in 1:160 hatte ich auch schon mal in den Fingern. Nur für den Fall, dass du mal Museumsbetrieb machen willst. Ich schau mal, wo die Daten rumliegen.
Ach ja: Nix gegen die Werbung für Grohe - das Gebräu trinkt sich gut weg - aber aus persönlichen Gründen (Insider wissen warum...) hätte ich eindeutig den Farbenkrauth Schriftzug bevorzugt!
danke für den Tipp! In Darmstadt wurden in den letzten Jahren viele Gleise einasphaltiert; Pflasterungen im Gleisbereich sind weniger geworden. Das werde ich mir ersteinmal zunutze machen und "glatt" an Standardgleise anarbeiten. Falls das nicht klappt, schaue ich mal bei Tomytec vorbei.
schön, aus der "Nachbarschaft" zu hören! Die geringe Größe ist in der Tat ein Thema. Ich hab bislang noch nichts in N gebaut. Mal schauen wie ich zurecht komme. Da die Module / Kisten aber auch schön klein sind, ist das Risiko aber ja gering.
Die Modelle von Darmstadtia e.V. kenne ich natürlich. Die beiden neuesten Modelle, das Rathaus und die Stadtkirche, hab ich selbst entworfen und für den Verein gezeichnet. Es gibt sogar noch ein bislang noch nicht veröffentlichtest Modell einer Straßenbahn (ST 4), dieses allerdings nicht in 1:160 wie die Gebäude, sondern in 1:87. Hier mal ein Entwurf des Bastelbogens. Die Werbung auf dem Dach "Doornkaat - Gut zum Leben" hab ich in gleicher Schriftart in "Darmstadt - Gut zum Leben" umgebastelt.
Falls Du Dein historisches Mehrfamilienhaus wiederfindest bin ich auf ein Bild gespannt.
Eine Dampfkastenlok brauche ich eines Tages tatsächlich. Mal schauen in welchem Maßstab...
Die Grohe-Werbung ist ja nur mit Fixogum befestigt. Vielleicht schwenke ich noch um. Aber aus wiederum auch persönlichen Gründen (ich schaue fast jeden Arbeitstag auf deren Werbung) finde ich Grohe ganz gut. Und man kann es tatsächlich auch gut trinken...
Ein erstes Modul ist befüllt worden. Thema hier ist die Wiederaufbauarchitektur der 1950er Jahre, die den Kern von Darmstadt fast ausschließlich prägt. Die dargestellten Häuser gibt es exakt so in der Realität nicht, aber es gibt jede Menge ähnlicher Bauten, die hier Pate standen.
Das Modul ist insgesamt ca. 23cm breit und etwa 8cm tief. Sehr platzsparend.
Die Gebäude wurden mit einer Schneidemaschine ausgeschnitten. Für die verputzten Flächen habe ich Finnpappe 0,5mm verwendet. Die Fensterelemente sind aus einer Siebdruckplatte, ebenfalls 0,5mm geschnitten. Die Schneidevorlagen sehen so aus:
Oben die Vorlage für die Finnpappe, unten die Siebdruckpappe. Ich habe zwei Materialien gewählt, weil die Finnpappe eine eher rauhe Struktur hat und die Siebdruckpappe sehr glatt ist. Meiner Meinung nach sollte das gut die unterschiedlichen Oberflächen wiedergeben. Es zeigt sich aber, dass die Finnpappe für die Bearbeitungmit der Schneidemaschine nicht ganz so gut geeignet ist. Sie neigt zum "Ausfransen" und feine Details zerreissen beim Schneiden. Die Siebdruckpappe ist dagegen sehr stabil, man kann damit feine Streifen schneiden. Ich werde beim nächsten Modul testen, ob es nicht besser ist, alle Gebäudeteile entsprechend zu schneiden.
Das Ergebnis sieht nun nach der Bemalung so aus:
So nahe, wie die Kamera dem Modell gekommen ist, wird man mit dem bloßen Auge dort in der kleinen Kiste niemals sein. Von daher bin ich da ganz zufrieden... Diverse Details sollen noch ergänzt werden, wie Fallrohre, Werbung, Laternen, Personen, Details am Dach, leicht Verschmutzungen, Blumenkübel...