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 Baumaterialien - Anwendung, Quellen
Günni Offline




Beiträge: 533

04.11.2021 14:08
Welten schaffen Antworten

In meinem Beitrag über die Gynthrolith Grube hatte ich ja die Verwendung von Pappmaché erwähnt. Für Diejenigen die etwas mehr darüber wissen wollen, hier noch mal eine etwas ausführlichere Beschreibung des Vorgehens.

Genesis
oder: die Erschaffung der (Modell-) Welt

Frage: was hat unser Frühstücksei mit Modellbahn zu tun? Nun, mehr als wir glauben. Aber lasset uns ganz am Anfang beginnen.
Denn: am Anfang schuf Gott Himmel und Erde *1. Da er uns außerdem nach seinem Bilde schuf *2, sollten wir also zu so etwas - wenn auch in wesentlich bescheidenerem Umfang - prinzipiell auch in der Lage sein. Gut, das mit dem Himmel läuft bei uns unter der Rubrik Hintergrundkulisse und ist ein anderes Thema. Für die Sache mit der Erde sind verschiedene Möglichkeiten beliebt, ich will hier mal eine vorstellen.
Jetzt kommen nämlich die eingangs erwähnten Frühstückseier ins Spiel. Der Herr brauchte damals nur seinen schöpferischen Geist, wir aber brauchen leere Eierkartons. Hä?? Doch, doch!



Eierkartons (Papierformstücke aus Geräteverpackungen sind auch geeignet) bestehen nur aus gepresster Papiermasse ohne Leim. Somit lassen sie sich prima in Wasser wieder zu Papiermasse auflösen.
Wahrscheinlich geht's auch mit Zeitungspapier (hab ich nicht probiert). Klopapier geht sicher, das gibt dann eine sehr feine Modelliermasse. Es gibt auch Platten aus Rohpapiermasse im Bastelbedarf, aber warum Geld ausgeben?
Damit wir uns eine schöne Modelliermasse herstellen können, sammeln wir also erst mal das benötigte Rohmaterial. OK, wer sich vegan ernährt und somit keine Eier isst, hat jetzt natürlich ein echtes Problem. Da hilft eben nur, sich die Dinger irgendwo zusammen zu schnorren.



Zuerst zerreißen wir sie in handliche Stücke (so ca. 2 x 2 cm) und werfen sie in ein Gefäß (Eimer, größere Schüssel o.ä.). Eventuell vorhandene Papieraufkleber oder Preisschilder ziehen wir vorher ab, die sind in der Regel geleimt und lösen sich nicht auf.



Dann kommt Wasser auf das Ganze. Nicht zu viel, nur dass die Schnipsel gerade bedeckt sind, sonst wird die Masse nachher zu flüssig. Jetzt alles in Ruhe lassen, am besten über Nacht, bis sich die Schnipsel richtig schön vollgesaugt haben. Eventuell muss man noch ein paar Tröpfchen nachschütten. Aber wie gesagt, nicht zu viel.
Nun wird es Zeit für einen Raubzug in die Küche. Wir brauchen einen Mixer oder besser einen Pürierstab, je nachdem was vorhanden ist und abhängig von der Bereitschaft der Haushaltsautoritäten, solches für unsere niederen Zwecke zur Verfügung zu stellen.



Damit bewaffnet traktieren wir jetzt unsere angesetzte Masse so lange, bis eine schöne gleichmäßige Pampe entstanden ist. Heißer Tip: dem häuslichen Frieden ist es sehr zuträglich, wenn wir die Gerätschaften danach schnellstens reinigen (!) und zurückgeben. Außerdem wird dies ein eventuelles erneutes Ausleihen später sicher wesentlich erleichtern.
Die nun folgenden Arbeiten sollte man besser nicht auf dem guten Wohnzimmerteppich ausführen denn jetzt wird’s nass. Also auch nicht unbedingt das gute Sonntagshemd anziehen und zumindest die Ärmel hochkrempeln. Geheimrat Goethe sagte einst so schön: „Greift nur hinein ins volle Menschenleben“. Also tun wir solches mit unserer Papiermasse und schöpfen (!) uns eine gute Hand voll heraus.



Diesen „Urschlamm“ pressen wir gut aus, am besten in einen anderen Eimer, damit unsere Papiermasse nicht durch das ausgepresste Wasser verdünnt wird. Es entsteht eine Art Papierfrikadelle. Diese bröseln wir gleich wieder auseinander, am besten in eine kleine Schüssel. Dabei erkennen wir, dass die Masse klumpig wird, was uns natürlich sehr entgegenkommt, da das später ohne viel Mühe eine schön unregelmäßige Landschaft ergibt. Wenn man eine glattere Masse haben möchte, lässt man das Ganze beim Ausdrücken einfach etwas feuchter.



Was ist der Stoff, der unsere kleine Welt im Innersten zusammenhält? Richtig: Leim! Welchen man nimmt ist eigentlich egal, er muss nur wasserlöslich sein. Es geht mit Tapetenkleister, Stärkeleim X oder Weissleim. Man braucht nicht viel, auf eine Hand voll Papiermasse etwa einen 5 cm langen fingerdicken Strang. Am Anfang erst mal weniger nehmen und lieber noch welchen zusetzen. Nimmt man zu viel, wird’s zu glitschig und braucht später sehr lange zum Aushärten. Wichtig ist, jetzt alles sehr gut durchzukneten, damit sich der Leim überall gut verteilt. Das Ergebnis sollte nicht an den Händen kleben und darf sich ruhig etwas trocken anfühlen.
So, unsere Modelliermasse ist nun soweit fertig und harrt des kreativen Teils der Geschichte.
Wie jede Welt braucht auch unsere einen stabilen Unterbau. Da hat jeder so seine persönlichen Vorlieben, von Holz über Pappe bis zu Hasendraht. Wichtig ist, dass eine relativ geschlossene Fläche vorhanden ist, auf der man die Pampe verteilen kann. Sehr gut geeignet sind Styrodurstücke aus denen man, passend zugeschnitten, die grobe Landschaftsform zusammensetzt. Das kann ruhig bucklig und kantig sein, die Feinmodellierung kommt ja jetzt.



Will man Felsen, Mauern oder ähnliches in der Landschaft einsetzen, sollte man das jetzt tun, dann kann man das schön mit einmodellieren. Die zu behandelnde Stelle wird zuerst mit Leim eingestrichen um eine Bindung zwischen Landschaft und Modelliermasse herzustellen. Dann lassen wir unserer Kreativität freien Lauf und beginnen den eigentlichen Schöpfungsakt. Die aufgetragenen Schichten sollten dabei möglichst nicht zu dick werden, so etwa einen halben bis eineinhalb Zentimeter, sonst dauert das Trocknen zu lange.



Die Masse ist übrigens so zäh, dass sie selbst von senkrechten Flächen nicht abtropft, man muss also das Austrocknen nicht unbedingt abwarten, sondern kann durchaus schon mal weiterarbeiten. Beim Formen kann man sich auch ruhig Zeit lassen, es dauert je nach Schichtdicke bis zu zwei Tage bis alles völlig ausgehärtet ist. Selbst am nächsten Tag sind noch kleine Korrekturen möglich. Ist alles zu unserer Zufriedenheit verteilt, machen wir es wie der Herr am dritten Tage: wir lehnen uns zurück und betrachten unser Werk mit Wohlgefallen.
Kommen wir jetzt zum letzten Kapitel unserer Schöpfungsgeschichte. Die Schrift sagt „Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut“ *3. Nun, da hat wohl jeder so seine eigene Lieblingsmethode, deshalb überlasse ich Euch dabei dem Zubehörmarkt. Nur so viel: es ist vielleicht eine gute Idee, die Pappmachélandschaft vorher erdbraun oder grün anzupinseln, besonders wenn die Eierkartons eine hübsche werbewirksame Farbe hatten (Leuchtgelb ist da z.B. sehr beliebt, sogar Lila wurde schon gesehen). Es schimmert dann auch nicht gleich durch wenn das Grünzeug im Eifer des Eisenbahnspiels mal ein bisschen angekratzt wird. Hat man grüne oder gar braune Kartons erwischt, ist man natürlich fein raus.



Wer immer noch Tatendrang verspürt, der kann sich natürlich getreu des biblischen Mottos „Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art“ *4 weiter schöpferisch mit Produkten der Zubehörindustrie austoben aber das und die Sache am sechsten Tag mit den zwei Leuten und dem Apfelbaum ist nun wirklich nicht mehr unser Thema. Wir machen es also wie der Herr am siebten Tag und ruhen von unserem Schöpfen aus.


Fazit: Pappmaché hat also für den Landschaftsbau einige Vorzüge, die da wären:

Das Zeug kostet nichts. Das bisschen Wasser und Leim kann man wirklich vernachlässigen und Frühstückseier kauft man sowieso (und wenn nicht, dann Verwandte, Freunde, Nachbarn, der Briefträger...). Außerdem tut man auch gleich noch was gegen den Verpackungsmüll.

Im Gegensatz zu Gips oder anderen Spachtelmassen ist es sehr leicht. Die getrocknete Masse wiegt nicht mehr als Styrodur. Wer seine Kreationen häufig zu Ausstellungen oder Treffen schleppt, wird das zu schätzen wissen.

Es ist sehr stabil. Die Masse trocknet knüppelhart auf. Mal eben ein Bäumchen reinstecken ist nicht, da ist Vorbohren angesagt. Dafür hält's dann aber auch sehr gut. Außerdem ist es reißfest. Seien es Temperaturschwankungen oder wenn man viel damit rumzerrt, es gibt keine Risse. Auch das ein Vorteil bei häufigem Transport.

Es lässt sich leicht verarbeiten. Bei Gips muss man gegen die Uhr arbeiten. Was nach etwa einer Viertelstunde nicht fertig ist, sieht dann auch so aus und bleibt so. Bei Pappmaché hat man, wie bereits erwähnt, fast alle Zeit der Welt. Auch am nächsten Tag kann man noch korrigieren bzw. was dazu machen oder wegnehmen. Und die unregelmäßige „natürliche“ Oberfläche gibt’s noch automatisch dazu.

Es ist relativ sauber. Gips kleckert äußerst gern mal runter, trifft (Murphy) garantiert empfindliche Oberfächen und verursacht dann ganz wunderbare Sauereien. Unsere Masse ist ziemlich steif und bleibt auf Grund des geringen Gewichts auch an senkrechten Flächen haften, dafür aber kaum an Händen und Kleidung. Gut, am Anfang gibt’s da auch ein bisschen Gemansche, aber das findet kontrolliert in Gefäßen statt.

Wenn also wieder mal die Kreation einer Landschaft anliegt, warum nicht mal Eierkartons ausprobieren.


Anmerkungen

*1 1.Mose 1
*2 1.Mose 27
*3 1.Mose 12
*4 1.Mose 24

X Stärkeleim ist ein hervorragendes Material zum Kleben von Papier. In der Industrie wird damit z.B. Wellpappe verklebt. Er ist billig und lässt sich leicht selbst herstellen.
Etwa 20 g Speisestärke in 200 ml kaltem Wasser auflösen.
Dann unter ständigem Rühren zum Kochen bringen bis eine milchige glibberige Masse entsteht. Abkühlen lassen und zur weiteren Verwendung in ein dicht schließendes Gefäß geben. Wenn es zu dünn wird, einfach etwas Stärke zugeben. Ist es zu dick, wegschmeißen und mit mehr Wasser neu anfangen, denn wenn’s erst mal geliert, ist nichts mehr mit Verdünnen. Einfach mal ein paar Versuche machen, das Zeug kostet ja fast nichts.


Frohes Weltenschöpfen
Euer Günni


PS, für unsere Leser aus den (längst nicht mehr) neuen Bundesländern: ja, das schöne leuchtend orange Haushaltsgerät ist das gute alte RG 28. Meins stammt allerdings aus dem kapitalistischen Versandhandel. Bei Quelle wurde es unter dem Markennamen Privileg verkauft. Meine Frau hatte es schon bevor wir uns kannten, es dürfte also jetzt weit über 40 Jahre alt sein. Es ist mein Lieblingshaushaltsgerät und unkaputtbar. Wir Wessis sollten nicht vergesssen, dass auch die volkseigene Produktion Made in Germany war!

Je schmaler die Spur umso größer der Spaß


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